Cover_19-6_gruen_low

Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


Heft-Archiv >> 2018 >> Publisher 2-18 >> Digitaldruck >> Der Tanz ums Goldene Kalb?

Der Tanz ums Goldene Kalb?

Andreas Weber*Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht von Herstellerseite den Druckereien versprochen wird: Inkjet Printing ist das Mass aller Dinge und eröffnet neue Märkte und Profite. Stimmt das? Ja und Nein. Ja, weil das Inkjet-Verfahren nicht mehr nur auf das Bedrucken von Papier oder Karton abzielt und damit über Nutzungsmöglichkeiten im klassischen Druck hinausführt. Sogar das Bedrucken dreidimensionaler Gegenstände ist möglich, wie z.B. Heidelberg und Xerox mit neuen Systemen wirkungsvoll beweisen. Nein, weil damit einhergeht, dass es schlicht nicht stimmt, zu behaupten, man könne mit Inkjet Printing den Offsetdruck ablösen oder aus dem Stand heraus ganz neue Anwendungsbereiche für die Druckbranche erschliessen. Genau hinzuschauen und abzuwägen, ist jedenfalls zwingend notwendig, um einen Tanz ums Goldene Kalb zu vermeiden. Hier eine Auswahl aktueller Beobachtungen:

1. Inkjet Printing für den professionellen, hochproduktiven Druck ist relativ neu. Erfolgreiche Anwender in der Druckbranche lassen sich bis dato an wenigen Fingern abzählen. Bei allen war der Schlüssel zum Erfolg nicht der Fokus auf die Drucktechnik, sondern auf die Pre­media-Prozesse sowie das Finishing inklusive Logistik. Bestes Beispiel: Peter Sommer und Elanders Germany in Waiblingen.

2. Hohe Inkjet-Druckvolumen, auf die sich Hersteller gerne berufen, laufen seit Langem im Transaktionsdruck, da man hier IT-Kompetenz mit Automation der Verarbeitung und Distribution nahtlos gestalten kann. Übrigens ist das der Grund, warum ein Big Player wie Pitney Bowes in das Vermarkten von Digitaldrucktechnik eingestiegen ist.

3. Es werden von den Herstellern mit Inkjet Printing fokussiert neue Kundengruppen ausserhalb der Druckbranche und des Transaktionsdrucks angesprochen. Canon Europa ist der Vorreiter, indem es im Zuge der Reorganisation nach der Drupa 2016 einen neuen Geschäftsbereich gegründet hat: Die Canon Graphic & Communications Group führt u.a. die Kreativwirtschaft sowie zahllose Branchen wie Architekten, Handwerker etc. mit neuen Systemen an den Inkjetdruck heran.

4. Seit der Drupa 2016 zeigt sich, dass die Inkjet-Revolution bei den Herstellern ihre Kinder frisst. Landa kommt nicht von der Stelle, Bobst hat eine Kehrtwende vollzogen und mit Gründung der Mouvent AG die Neukonzeption für Inkjet Printing durch eine clevere Cluster-Technik und anderes mehr vollzogen. Und Heidelberg hat im Team mit Fujifilm durch Primefire eine neue Plattform für den Hochqualitäts-Inkjetdruck entwickelt, die im anspruchsvollen Verpackungsmarkt für Aufsehen und Anerkennung sorgt.

5. Traditionsunternehmen wie die Durst Group haben sich neu aufgestellt: Mit der P5-Philosophie wird alles darauf ausgerichtet und optimiert, was die Leistung und die Verfügbarkeit der Drucksysteme maximiert sowie eine beispiellose Flexibilität in der Medien- und Auftragsabwicklung zulässt.

6. Es haben sich ganz neue Anbieter still und leise in Stellung gebracht, die mit neuen Systemarchitekturen individuell konfigurierbare, modulare Inkjet-Printing-Produktionsanlagen ermöglichen, wie zum Beispiel die Firma Cadis Engineering aus Hamburg zeigt. Cadis kann z.B. HTML-Daten drucken und verzichtet aufs Rippen.

7. Der eigentliche Gewinner beim Inkjet Printing ist derzeit ein «Hidden Champ»: Der Bücherdruck. Xerox Europe zeigte dies eindrucksvoll Ende März im Team mit der Book on Demand GmbH in Hamburg beim #Books2018-Event. Eine riesige, automatisierte Druckfabrik erzeugt in Echtzeit bis zu 25 000 Book-for-One-Produkte pro Tag. Wachstumstreiber sind die Impika-Inkjet-Drucksysteme von Xerox mit ausgeklügelter Hunkeler- und Müller-Martini-Technik zur Verarbeitung. Der Clou: Eine neue Impika-Tinte, die ungestrichene Papiere problemlos und bestens bedrucken kann.

8. Last but not least: Wenn überhaupt von Substitution gesprochen werden kann, dann ersetzen Inkjetsysteme (Bogen wie Rolle) am ehesten bestehende Toner-Digitaldrucksysteme.

Beim Inkjet Printing wird und muss sich noch viel tun. Wir stehen erst am Anfang. Und müssen neu Denken lernen, um nicht in die Innovationsfalle zu tappen: Indem wir fälschlicherweise davon ausgehen, Inkjet Printing sei primär dazu da, das, was wir ohnehin im Druck tun können, zu verbessern. Es geht daher weniger um schneller, besser, billiger, es geht vielmehr um neu, zeitgemäss und anders, um die komplexen Kommunikationsherausforderungen des Digitalzeitalters zu meistern. – Think different!

* Andreas Weber ist Gründer und CEO von Value Communication AG. Als Analyst & Berater für Erfolg mit Print im Digitalzeitalter ist er zugleich auch globaler Netzwerker und Publizist. Sein Blog valuetrendradar.com inspiriert Leser aus über 130 Ländern.